Wetterzeube. Rassismus ist eine ernste Sache, aber es ist nicht dasselbe wie das, was Martin Luther-King erlebt hat, insbesondere wenn man es mit den Augen einer 44-jährigen Mutter sieht, einer Jüdin, die nach Kalifornien gezogen ist und nun in einem Altenheim arbeitet und auf ihre Karriere in der Universität verzichte hat, um in alltäglichen Situationen keinen Terroranschlag fürchten zu müssen; wenn man in Israel wohnt, sagt Gundar-Goshen, das Erste, was man sucht, wenn man in einer Kaufhalle eintritt, ist der Ort, in dem sich die Sicherheitstür befindet.
In dem Roman der jüdischen Schriftstellerin geht es um den Rassismus eines afroamerikanischen Jungen gegenüber ihren jüdischen Sohn. Während wir in Europa gewohnt sind, über Rassismus gegen Afroamerikaner zu sprechen, distanzieren sich einige Afroamerikaner von der "Black Lives Matter"-Bewegung, und die Autorin tut es auch nicht aus ideologischen Gründen, sondern indem sie die Gewalt eines afroamerikanischen Jungen gegen einen jüdischen Jungen beschreibt.
Wie in dem Roman "Die Lügnerin" die, die gemobbt wird, ist nicht der Held, der wahrhaftig ist, so ist es auch in "Wo der Wolf lauert" nicht klar wo die Wahrheit sich befindet. Adam, der Opfer von Gewalt, ist ein introvertierter Junge, der sich gegen Jamal Jones, der Afroamerikaner Junge, der ihn massiv mobbt, sich nicht währen kann und der Gewaltphantasie in sich trägt. Michel, der Vater, ist gänzlich in dem kapitalistischen Stil of life involviert und denkt, dass der Kapitalismus die Gegenmassnahme um den Rassismus zu bekämpfen ist. Uri, der Kurlehrer von Adam, meint, dass wenn jemand dich umbringen will, musst du ihn zu erst umbringe. Lilach, die Mutter ist überbesorgt, mit Recht, aber auch panisch. Also die Autorin, durch die Mutter-Erzählerin, scheut sich nicht die eigene Probleme zur Sprache zu bringen.
Weder die anti-rassistische pädagogische Haltung der Schulen in California, noch die Syndrome sich währen zu müssen der Israeliten, noch die kapitalistische Haltung schaffen dorthin zu kommen, wo Rassismus entsteht, das eigene Herz, das den Anderen als Problem empfindet.
Die Mutter ist nicht nur Mutter, sonder auch Frau und der Roman enthält, in einer Welt voller Pornographie, 2 echt erotische Szene, in denen Worten mehr noch als Bilder das Erotische ausmachen: "feucht und erregt" ist nicht die Vagina, sondern die Frau, die vor Lust zu schreien wünscht und die beiden Männer, in einer Konstellation die teilweise die "Wahlverwandtschaften" Goethes erinnert, zu unterbinden versuchen. Und "steif" ist nicht der Penis, sondern den Mann, etc.
Wie Etty Hillesum, die in ihrem Tagebuch, ein Gleichgewicht zwischen Seele und Körper sucht, ohne zu vergessen einen Körper zu haben, so nennt Ayelet Gundar-Goschen, die Dingen per Name. Im Unterschied zu Hillesum ist im Roman keine theologische Dimension vorhanden, aber diese authentische Auseinandersetzung mit dem eigenen Bedürfnis von Authentizität macht den Roman absolut lesenswert. Rassismus ist eine Frage der Gerüchteküche, nicht in erster Linie der Ideologie - und ich sage es nicht wegen eines Mangels an Differenziertheit, sondern, um genau zu sehen wo und wie der Wolf lauert: "Seit der Hausdurchsuchung und der Vernehmung bei der Polizei sahen Jamals Freunde ihn (Adam) an, als wäre er ein Mörder. Lehrer tratschen, Eltern tuschelten über ihn" (Titel im Photo, Zürich-Berlin 2021, 253). "Die üble Nachrede und die Verleumdung sind wie ein Terrorakt: Es wird eine Bombe geworfen, es gibt Zerstörung und der Attentäter geht glücklich und ruhig davon" (Papst Franziskus, Gaudete et Exultate, 88).
"Es ist nicht einfach, diesen Frieden des Evangeliums aufzubauen, der niemanden ausschließt, sondern der auch die einschließt, die etwas seltsam sind, die schwierigen und komplizierten Menschen, diejenigen, die nach Aufmerksamkeit verlangen, die verschieden sind, die vom Leben schwer getroffen wurden, die andere Interessen haben. Es ist hart und erfordert eine große Weite des Denkens und des Herzens, weil es nicht um »einen Konsens auf dem Papier […] oder einen oberflächlichen Frieden für eine glückliche Minderheit« geht, noch um einen »Plan einiger weniger für einige wenige«. Ebenso wenig geht es darum zu versuchen, die Konflikte zu ignorieren oder sie zu verschleiern, sondern um »die Bereitschaft, den Konflikt zu erleiden, ihn zu lösen und zum Ausgangspunkt eines neuen Prozesses zu machen«.Es geht darum, Handwerker des Friedens zu sein, weil den Frieden aufzubauen eine Kunst ist, die Gelassenheit, Kreativität, Feingefühl und Geschicklichkeit erfordert". (Papst Franziskus, Gaudete et Exultate, 89) - in einer gewissen Hinsicht Ayelet Gundar-Goshen versteht gerade das zu tun, was der Papst hier uns vorschlägt - Lilach vermeidet nicht, sogar bis zu einem bestimmten Punkt sucht sie die Bezeigung zu Annabell Jones, die Mutter von James, der in einem Party umgekommen ist und der ganze Roman, den ich nicht erzählen will, um die Spannung nicht zu brechen (wenn man ihn zu lesen anfängt, will man nie mehr aufhören) ist die Suche nach der Ursache dieses Todes bzw.Mordes. Sie tut es in dieser "jüdischen" Weise, die ich so sehr in Etty Hillesum mag: Dinge sollen per Namen genannt werden und nicht "spiritualisiert", weil der Friede ist entweder eine Erfahrung oder nur ein neues leeres Wort.