Müritz. Die Biographie von Christian Schneider, Sahra Wagenknecht, Frankfurt/New York, 2019, bietet mir die Gelegenheit eines Dialogs mit der deutschen Politikerin und Philosophin zu „versuchen“. Hier ein erster Versuch. Sahra Wagenknecht ist 9 Jahre jünger als ich. Mit 20 Jahre tritt sie in die SED als das sozialistische Schiff am versinken ist (1989), mit 20 verlasse ich die katholische Kirche (1981). Mit 25 hat sie sich mit Hegel auseinandergesetzt (auch mit Goethe und Marx): sie erbt von ihm die Kategorie der „Vermittlung“: Philosophie als Vermittlung zwischen Theorie und Wirklichkeit, mit einem Vorrang der Idee zur Wirklichkeit. Mit 25 bin ich in der Phase des „Geist der Utopie“ (Ernst Bloch und Theodor Adorno als Erben von Hegel), die ich von Ernst Bloch geerbt habe: es gibt gar keine Vermittlung zwischen Idee und Realität; die Realität entpuppte sich für mich als ein vollkommenes Scheitern: mein privates Leben scheiterte und ich betrachtete Kirche und Politik als Wege, in der die Person vernichtet wird - 1978 hatten die Roten Brigaden Moro entführt und umgebracht: weder Kirche noch Politik wussten irgendwelche Vermittlung. Was meine Person anbelangt, verweise ich an meinem Post: „Libri de altri ricordi“ in meinem Blog.
Auch wenn sie mit dem Stalinismus abrechnete und ich mit der Katholischen Kirche, waren wir beiden mit 25, in der Seele, ganz und gar Philosophen. Sie verurteilt die stalinistische Massaker der 30Jahren, aber grundsätzlich empfindet sie die stalinistische DDR wie ihre Heimat; für mich von aussen her gesehen diese Auseinandersetzung wirkt verrückt; aber womöglich meiner Auseinandersetzung mit dem Christentum wirkt, von aussen her gesehen, auch als absurd: Kreuzzüge, Vermischungen mit der nationalsozialistischen Ideologie seitens der Christen werden von aussen her gesehen, genau so gravierend wie die stalinistische Gulag zu beurteilen sein. Und wenn es auch wahr ist, dass es Heilige gegeben hat, wie Maximilian Kolbe oder Dietrich Bonhoeffer, es ist auch wahr, dass der Kommunismus nicht nur auf den Gulag reduziert werden kann.
Für Christdemokraten der Ära Helmuth Kohls ist Sahra Wagenknecht nur eine Leninistin, die man nicht vertrauen kann. Für mich 30 Jahre nach der Wende ist sie eine Herausforderung, um meinen Urteil über den Kommunismus neu zu bedenken. Weltpolitisch gesehen der Kampf zwischen Kommunismus (realer Sozialismus) und Kapitalismus ist noch offen: zwar ist der Berliner Mauer gefallen und die Sowjet Union gescheitert, aber der chinesische Kommunismus ist noch an der Macht und hat in seiner realistischen Variante einige Erfolge zu verzeichnen. Putins Russia ist eine christliche Version der Sowjet Union.
Mit Johannes Paul II, Benedikt XVI und Franziskus positioniere ich mich weder mit dem einen noch mit dem anderen, aber ich muss in einer Haltung des Dialogs mit all diesen Formen der Gestaltung des Wirklichen bleiben. Konkret: ohne den westlichen Kapitalismus würden vielen Ostdeutschen gar keine Rente beziehen können, aber ohne die sozialistischen Herausforderung der Kapitalismus entpuppt sich auch für das was ist: eine Kraft, die die Welt erobern, nicht mit Gratis Liebe gestalten kann und will. Mit Papst Franziskus aus Latein Amerika bietet sich auf weltpolitische Ebene eine geistige Haltung, die ganz und gar „gewaltfrei“, „ökologisch“ und für die Armen ist. Zwar glaube ich nicht, dass die Philosophie die Welt verbessern kann (wie Sahra Wagenknecht mit 25 glaubte), aber mindesten betrachte ich der Versuch sie zu verbessern als ein wichtiges Ideal.
Und für jetzt zum Schluss: Sahra Wagenknecht ist nicht nur ein „Du“ meiner philosophischen Überlegungen, sondern auch ein „sie“ (3. Personalpronomen), dass ich nicht „verschlucken“ will, sondern besser verstehen, in dieser Haltung, die sie als das eigene Motto immer gesehen hat: „Lernen, lernen, lernen“.
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