martedì 14 maggio 2019

Liebe. Unsere menschlich tiefste Sendung - Burkhard Schmitt kommentiert den Festvortrag am Stiftungsfest von Dr. Stephan Scholz

 Leipzig. Eine ganz existentielle Aussage von Dr. Scholz (siehe unten) hat mich in besonderer Weise geradezu elektrisiert:
Sozusagen die Umkehrsicht: Abgesehen von der Hilfe für den anderen, was macht das Trösten und was macht die notwendende Zuwendung und Anteilnahme mit mir?
Wenn unsere grundlegende menschlich tiefste Sehnsucht darin liegt, bedingungslos – also ohne jegliche Nützlichkeitsüberlegung – geliebt zu werden und ebenso zu lieben, zu trösten und Anteil zu nehmen, weil diese Kompetenz zu leben zu einem tiefen Menschsein gehört, dann ist Leid und Not im Kleinen wie im Großen die Chance, in der wir unser Menschsein zutiefst sinnstiftend und sinnerfüllend realisieren können. 
Eine Welt, die so perfekt gerecht und ohne Not und Leid gestaltet wäre – sofern es das jenseits der Utopien gäbe – bedürfte dann noch nicht mal des Trostes und dieser von uns so sehr ersehnten bedingungslosen Liebe, wäre dann trost–los und  lieb-los. Vielleicht bequem, glatt, praktisch - wahrscheinlich steril oder konsumerfüllt für alle. 
Der Ansatz von Dr. Scholz: auch wenn es nie gelingen wird, diese Utopie – sofern es denn unter diesen Gesichtspunkten tatsächlich eine erstrebenswerte wäre – zu realisieren, gilt es, sich für eine gerechte und gute, kluge und soziale Ordnung einzusetzen und immer wieder für Verbesserungen zu kämpfen – und im Angesicht dessen , dass wir es nie erreichen werden – oder gar manchmal Gutes wollend „Verschlimmbesserungen“ produzieren… dass wir also angesichts dessen auch stetig aufgerufen bleiben, im Trösten und tätigen Verschenken des Herzens unser Menschsein zu realisieren und diesen tiefen Sinn auszukosten.
Erst wenn wir die Würde des anderen sichern, realisieren wir in bestem Sinne unsere eigene Würde



Text des Vortrages von Dr. Stephan Scholz 

Stiftungsvortrag  „ Gesichter einer Hoffnung“, Droyssig 11.5.2019 

Einführung 

Betrachtet man die Welt mit offenen Augen, kommt man nicht umhin feststellen zu müssen, dass es viel Leid, sehr viel Leid und Not gibt. Meist hervorgerufen durch Kriege, Verfolgung oder Naturkatastrophen, die oft als Konsequenz eine zum himmelschreienden Ungerechtigkeit zu Tage treten lassen.

 Beschäftigt man sich näher damit insbesondere mit den Regionen des Krieges und der Vertreibung, wird dieses Leid unmittelbarer. Es tritt bis zu einem - allerdings immer noch entfernten - Punkt in den Bereich der eigenen Erfahrung und es wird dadurch nicht geringer, im Gegenteil es rührt einen mehr an, weil man oft berührende persönliche Details erfährt. Es verliert etwas die Abstraktion, die normale Nachrichten notgedrungen oft an sich haben. 

Bei unseren Reisen von Support in diese Länder war das ein Teil unserer Erfahrung. 

Aber eine Erfahrung, die vielleicht noch größer und noch wichtiger ist: man begegnet Personen, die dort, wo die Not groß wird und das Elend unausweichlich, diese Not angehen, nicht aufgeben, sondern im Gegenteil zu handeln beginnen, zu Protagonisten werden, zum Zeichen der Hoffnung für andere. Zum Zeichen der Hoffnung, dass es etwas im Menschen gibt, das größer ist als das Elend, stärker als die Not - eine Hoffnung, für die es sich lohnt zu leben! 

Deswegen hat mein Vortrag auch den Titel „Gesichter einer Hoffnung“  – Gesichter von Personen, in denen sich diese Hoffnung wiederspiegelt. Diese Personen sind sicherlich keine Helden, aber, wenn man das etwas pointiert sagen darf, Heilige in einem gewissen Punkt schon. Heilige, weil sie bewusst oder unbewusst Zeichen und Zeugen sind für ein verborgenen Grund im Menschen, für eine geheimnisvollen Gegenwart. Ein Grund, eine Gegenwart, die größer ist als all die Not um sie herum; sonst würden sie das wohl nicht tun, was sie tun.  

Von diesen Personen also, möchte ich heute zu Ihnen sprechen: 
  • Im ersten Teil diese Personen vorstellen – es ist m.E. wichtig und schön ihr Gesicht zu sehen – sie dadurch etwas besser zu kennen.  Ich versuche dabei zu beschreiben, was uns an diesen Personen fasziniert hat,
  • um dann einem zweiten Punkt zu erklären: Was wir von diesen Personen gelernt haben.
  • Zum Schluss wage ich es noch, da ich hier ja an einer Schule spreche, auf Grundlage meiner Erfahrung ein paar Punkte zu sagen, die hilfreich sein könnten, um jungen Menschen zu helfen selber zu solchen Personen heranzureifen. Denn ich denke und ich werde auch im Verlauf meines Vortrages versuchen das zu begründen: Wir brauchen solche Personen hier genauso dringend wie dort. 


Teil 1 die Gesichter einer Hoffnung: 

Fadi   --------------- Beirut Libanon ----------------------

Er ist der Leiter des „Institut de Reeducation Audio Phonetique“ (IRAP).
Das IRAP ist eine Schule in Beirut im Libanon. Eine Schule für Taubstumme, die als Initiative in den sechziger Jahren gegründet wurde. Dieses Werk wuchs im Verlauf der Zeit, weil man der Schule eine Berufsschule für Taubstumme angliederte, um diesen Personen auch eine volle Berufsausbildung zu ermöglichen und dann entstand aus der Berufsschule auch ein kleines Unternehmen, welches verschiedene Produkte herstellt, die von Taubstummen produziert werden, so z.B. im ganzen Libanon berühmtes Feingebäck und andere Spezialitäten sowie Waren für den Haushaltsbereich (z.B. Handtücher) und Gegenstände zur Dekoration. So wurde dieses Werk auch zum Arbeitgeber. Die Schule selber hat sich darüber hinaus im Verlaufe der Zeit geöffnet für Schüler mit starken Lehrbehinderungen und Kindern mit autistischen Störungen. Insgesamt also ein Werk, dass sehr viel Gutes bewirkt, vor allem für Menschen mit Einschränkungen – was umso wichtiger und bemerkenswerter ist in einer Gesellschaft, die aufgrund der wirtschaftlichen Situation ohnehin noch weniger Raum und Möglichkeiten für Behinderte hat als reiche und hochentwickelte Industriestaaten mit entwickelten Sozialsystemen wie unser Land. 

Hr. Fadi ist eine Person von außerordentlicher Güte und sehr großer Aufmerksamkeit für das ganze Werk aber auch und besonders für jede einzelne Person. Allen ist er mit großer Zuneigung zugetan. Er strahlt eine große, geduldige Güte aus. Er ist für uns ein Beispiel, wie man ein großes und durchaus anspruchsvolles Werk was Organisation und Management angeht, führen kann - mit Güte, mit Liebe und Zuneigung und gerade dadurch mit Autorität und das in einer alles andere als einfachen Umgebung. 

Gerges ----------------------- Flüchtlingslager im Libanon ----------------------------

Gerges ist ein junger Christ – er ist der wesentliche Koordinator aller Hilfsaktivitäten der ca. 75 Zeltstädte mit insgesamt über 5000 Flüchtlingen in der Ebene von Mariayoun im Süden des Libanon im Dreiländereck Libanon, Syrien, Israel.   
In diesen Lagern unterstützen wir als Support eine Reihe von Nothilfe und Selbsthilfe-Maßnahmen.     
Gerges ist uns sofort aufgefallen, weil er von allen (Männern, Frauen und Kindern) in jedem kleinen oder größeren Zeltlager sofort freudig begrüßt wurde. Er kannte alle und alle kannten ihn – er war mit allen im Gespräch und kannte alle Sorgen – er war allen mit großer Aufmerksamkeit und Zuneigung zugetan. Er hilft sehr pragmatisch, realistisch und wie gesagt mit großer Zuneigung. In seinen Händen weiß man, dass das Geld den Personen wirklich zugutekommt!


Ima --------------------------- Flüchtlingslager im Libanon  -----------------------------

Die Frau heißt Ima und ist eine 24 Jahre junge muslimische Frau. Sie hat zwei Kinder, lebt seit nunmehr fast 8 Jahren in der Zeltstadt Majidye (über 120 Personen davon 65 Kinder). Sie war sofort bereit mit uns ein kleines Interview zu führen. Wir haben in den ca. 2 Stunden, die wir im Lager verbrachten, sofort bemerkt, dass sie sehr initiativ nicht nur für sich selber, sondern für alle anderen insbesondere jungen Frauen. Sie sorgt dafür, dass diese sich proaktiv um die Bildungsangebote kümmern und an den angebotenen Kursen teilzunehmen. Es werden dort vor allem Kurse zum Erwerb grundlegender Kenntnisse der Landwirtschaft angeboten. Sie war wie eine Mutter, die sich um die überwiegend sehr jungen Flüchtlinge kümmert. In diesem Lager war eine insgesamt merklich positivere Stimmung zu spüren und die Frauen in diesem Lager haben uns auch gebeten, ob wir Gelder übrighätten, um in ihrem Lager einen kleinen Platz mit Bänken und Blumen auszustatten, wo sie sich regelmäßig am Abend treffen und zusammensetzen könnten. Dieser Sinn für Schönheit und Gemeinschaft hat uns sehr berührt!

Kinder von Sarada ---------   Flüchtlingslager im Libanon --------------------------------------

Man sieht das oft, sehr oft, das mit dem Lachen oder Lächeln von Kindern geworben wird – besonders im Kontext von Caritativen Organisationen. Dadurch wirkt das Motiv oft abgegriffen. Aber das Lachen von Kindern ist allermeist authentisch und nicht aufgesetzt oder gespielt – es zeigt diesen unmittelbaren, positiven, unvoreingenommenen Zugang zur Wirklichkeit aus, der Kinder oft auszeichnet. Man mag das als naiv oder gar infantil beurteilen – aber eigentlich steckt ein großes Zeichen, eine große Wahrheit dahinter (gerade weil es so direkt, vorurteilslos ist): Kinder leben sehr in der Gegenwart und sind daher auch in schwierigen Umständen froh, weil sie genau wahrnehmen was jetzt passiert – sie sagen uns damit, dass auch in schwierigen Situationen das Leben schön und erfüllend sein kann. Das ist überhaupt nicht als Ausrede zu verstehen, sich nicht dafür einzusetzen die Umstände zu ändern – aber es ist eine Verheißung das jedem Umstand des Lebens etwas Wahres und Schönes innewohnt. Wenn mal also mit in diese Zeltstädte der Flüchtlingslager in das Lachen der Kinder schaut, wie es das Bild für die Kinder des Flüchtlingslagers Sarada wiedergibt, versteht man ein Stück mehr was Jesus wohl gemeint hat, wenn er sagte „Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen“ Er war weder naiv noch hat er vom Reich Gottes nach dem Tod gesprochen – sondern vom Hier und Jetzt.  


Schwester Ibtihaj  ---------------- Kindergarten Quarakosh  Irak -----------------------------

Schwester Fabriona Ibtihaj ist Dominikanerschwester und leitet den Kindergarden Casa Bambino Gesu in Quarakosh. Sie ist 1968 in den Dominikanerorden eingetreten – sie hatte Mathematik studiert und war Mathematik-Lehrerin. Sie ist mit allen anderen im Jahr 2014 aus ihrer Heimatstadt Quarakosh geflohen vor dem Terror des IS, der die Ebene von Ninive im Norden des Irak überrannt hat. Sie hat zusammen mit anderen Schwestern und Laien im Exil der Stadt Erbil den Kindergarten wiedereröffnet und ist im September 2017 mit dem Kindergarten wieder zurückgekehrt in die nunmehr befreite, aber völlig zerstörte Stadt Quarakosh. Der Kindergarten als Institution, besonders aber Schwester Ibdihaj als Person, waren und sind ein ganz wichtiger Ort der Ruhe und Gewissheit in dem Chaos der Flucht und Vertreibung – für die Kinder, aber interessanterweise fast noch mehr für die Erwachsenen Eltern der Kinder und Mitarbeiter.  Wir haben sehr lange mit Schwester Ibtihaj und ihrer Mitschwester Feodora gesprochen – es war sehr beeindruckend mit welcher Liebe und Aufmerksamkeit für alle Details und mit welchem Blick für die Schönheit sie diesen Kindergarten zweimal wiederaufgebaut haben. Ein kleines Beispiel: trotz der schwierigen Umstände haben die Schwestern auch begonnen zu überlegen, wie man auch behinderte Kinder in den Kindergarten integrieren könnte. Gerade die Umstände der Flucht haben die Anwesenheit von behinderten Kindern noch offenbarerer werden lassen, da solche Kinder in diesen Kulturkreisen von den Eltern oft versteckt werden (leider auch in christlichen Familien) und das aufgrund der Fluchtsituation oft nicht mehr möglich war.   

Filipo und Fabiola ------- Casa Familiga Griechenland -------------------------------------------



Das Bild zeigt das Ehepaar Filipo und Fabiola Bianchini. Sie gehören der Gemeinschaft Papst Johannes XXIII. an, deren Charisma es ist das Leben mit den Ärmsten zu teilen. Filipo und Fabiola haben im Jahre 2012 alle Sicherheiten (Arbeit, Haus etc…) in Italien aufgegeben und sind mir ihren 2 Kindern (heute sind es vier) nach Athen in Griechenland gezogen, um dort eine sogenannte „Casa Famiglia“ oder „Haus der Familie“ zu gründen. Die Casa Famiglia ist eine Zuflucht für Menschen in Not. Zum Beispiel Personen, die überhaupt kein Geld mehr haben und auf der Straße leben, Waisenkinder, junge unbegleitete Flüchtlinge. Diese Personen werden in das Haus aufgenommen und teilweise auch in die Familie integriert, als wären sie Sohn oder Tochter, Bruder oder Schwester. So können sie aus diesem Ort der Annahme und Liebe wieder ins normale Leben zurückzufinden wie andere Kinder oder Erwachsene. Die „Casa famiglia“ in Athen beherbergt insgesamt 18 Personen: 8 gehören unmittelbar der Familie an und weitere 10 Personen (3 Familien) leben im 2. Stock des Hauses, autonom aber der Familie eng verbunden.

Als erste Antwort durch die sehr große und offensichtliche Not vieler Obdachloser (viele Personen, die durch die Wirtschaftskrise völlig verarmt sind) entstand neben der Casa Familgia im Oktober 2017 eine „Capanna di Betlemme“ (Hütte von Bethlehem) – dort treffen sich  Obdachlose. Sie essen gemeinsam, können ihre Wäsche waschen, sich duschen, Zeit miteinander verbringen. Manche bleiben über Nacht, andere kommen nur für ein paar Stunden. Der „Traum“ von Filipo und Fabiola ist es die Gründung eines therapeutischen Zentrums für junge Drogenabhängige, in welchem die Abhängigen unter professioneller Begleitung eine Drogenentzug machen können und dann Schritt für Schritt begleitet in einer Wohngemeinschaft wieder zurück ins normale Leben finden. 

Papst Franziskus ----------------------Franziskusfond Deutschland  --------------------------
Hier ein Gesicht das sicherlich alle von Ihnen kennen. Sein Gesicht steht für ein Werk, das hier an der Schule präsent ist. Dem sogenannten Franziskusfond: einem Hilfsfonds, mit welchem wir hier an dieser Schule seit 2014 d.h. nunmehr 5 Jahren Schülerinnen oder Schüler, die aus irgendeinem Grund, einer besonderen Unterstützung bedürfen, helfen. Dieses Werk hat auch an dieser Schule eigentlich einen Namen und ein Gesicht genauer gesagt 2 Namen und 2 Gesichter nämlich die von Konstanze und Roberto Graziotto, die sie alle kennen.  Sie sehen also man braucht nicht bis nach Libanon, Irak oder Griechenland zu gehen, um die Gesichter einer Hoffnung zu treffen. 

Damit komme ich auch zu meinem zweiten Punkt:, was können wir hier für uns von diesen Personen lernen, man kann auch etwas pointierter Fragen: warum machen wir diese Arbeit eigentlich? … oder provokativer formuliert: ist die Hilfe nicht einfach ein Tropfen auf den heißen Stein, sind diese Personen nicht verloren in einem Meer von Not und Elend – ja ist es nicht vielleicht sogar noch schlimmer, was manche Kritiker der Entwicklungshilfe generell vorwerfen: fördert man nicht oft die vorhandenen Macht- und Ausbeutungs-Strukturen, indem man denen hilft irgendwie zu überleben? 

Sie können sicher sein, dass wir uns genau diese Frage gerade als kleine, nahezu unbedeutende Entwicklungshilfe Organisation oft und immer wieder stellen und es gut so, denn nur wenn man sich einer solche Frage stellt, die tatsächlich auftaucht, lernt man – und das was wir gelernt haben ist sehr wichtig für uns persönlich! 


Teil 2 was also können wir von diesen Personen, aus dieser Arbeit lernen? 

Wenn man dieser Frage etwas tiefer nachgeht kommt man schnell zur der sehr grundsätzlichen Frage: Vertrösten wir die, die Leiden nicht nur anstatt uns den Ursachen des Leidens zuzuwenden und alles zu tun, um diese abzuschaffen?

Fragen wir uns also ganz praktisch: was macht ein Fadi mit den Taubstummen, ein Gerges oder eine Ima mit den Flüchtlingen, oder eine Schwester Ibtihaj mit den Kindern im Kindergarten? Sie alle können das Leid, den Krieg und seine Folgen, die tragische Situation der Flucht nicht aufheben oder gar rückgängig machen! 

Holen wir deren Erfahrung näher an uns ran mit einer Analogie: was machen wir mit einem Menschen dem Unrecht geschehen ist oder mit einer Mutter, einem Vater der sein Kind verloren hat: keiner von uns kann das geschehene Leid aufheben oder zauberisch die Welt mit ihrer Tragik verwandeln. Aber er kann eintreten in die Einsamkeit der zerstörten Liebe, in die Traurigkeit über die verlorene Heimat, in die Tragik der verlorenen Arbeit als Mitleidender als Mitliebender. Obschon er das Geschehene nicht aufhebt ist er nicht bloß ein „Wortemacher“, ein „Vertröster“ sondern in dem er eintritt in eine Beziehung, begleitet verwandelt er die Situation gewissermaßen von innen her. Es sind eben nicht nur Worte – sondern Taten, vor allem der Begleitung der Anteilnahme, die konkret helfen und zumindest anfänglich heilen – auf jeden Fall etwas zum Positiven wenden. 

Wenn ich mir hier an einer dezidiert christlichen Schule erlauben darf eine wie mir scheint nicht ganz unwesentliche Nebenbemerkung zu machen: man versteht dadurch vielleicht etwas besser,  das Gott in die Welt eingetreten ist, um uns zu begleiten, um „DA“ zu sein,  nicht um das ganze Leid wegzuzaubern und das System grundlegend zu verändern, was er wohl auch hätte tun können, so dass man keinen Trost mehr bräuchte. Dann wäre es eben auch eine trostlose Welt. Das gehört wohl zum Menschsein dazu – eine Welt, in der kein Trost, keine Hilfe mehr nötig ist, verliert etwas ganz Wesentliches etwas für den Menschen Notwendiges.
Dieser sicherlich sehr tiefe Zusammenhang wurde zumindest mir neu ins Bewusstsein gerufen mit dieser Arbeit, in der Begegnung mit diesen Personen und dafür bin ich sehr dankbar! 

Ist es nun so, dass wir deswegen aufhören sollen, die Strukturen zu verändern, aufhören sollen uns für politische Veränderungen ein zusetzten, mitnichten - ganz im Gegenteil. Auch hier hilft ein Blick auf unsere eigene Erfahrung hier bei uns: wir haben halbwegs funktionierende Sozialsysteme (Kranken- Renten, Arbeitslosenversicherungen etc.) , wir haben einen Rechtsstaat, wir haben seit 70 Jahren Frieden in Westen Europas - solange wie vielleicht noch nie in der neueren Geschichte dieses Kontinentes. 
Angesichts dieser Erfahrung muss man sagen: ganz klar lohnt es sich für die Verbesserung von Systemen einzusetzen, sich in der Politik zu engagieren – es ist absolut notwendig und wichtig. Aber schauen wir noch einmal auf unsere Erfahrung: ersetzt dieser Einsatz unsere Menschlichkeit, unsere Freiheit?  – nein sicher nicht. 

Wo also ist es besser mildtätig zu helfen, wo ist es besser sich für mehr die Verbesserung und Veränderung eines Systems einzusetzen, ja wo könnte Hilfe sogar falsch sein? Darauf gibt es m.E. keine allgemeingültige für alle Situationen richtige Antwort – gottseidank! – hier ist im Einzelfall immer wieder jeder von uns als Person gefragt, als Person in ihrer Freiheit, die aufgerufen ist, selber zu entscheiden, zu handeln, sich einzusetzen – hier wie dort… womit ich bei meinem letzten Punkt wäre: 

Teil 3 Was kann man als Lehrer, als Eltern tun, um jungen Menschen zu helfen zu wirklich freien Personen heranzureifen?

Also auf diese Frage, gestatte ich mir bei allem Respekt vor der Größe und Tragweite der Frage – nur 4 kleine Anmerkungen oder besser Beobachtungen unter anderem eben aus meiner Arbeit bei Support aber durchaus aus meiner ganzen Lebenserfahrung. Die erste Anmerkung wäre:   

Offenheit gegenüber der Wirklichkeit: was diese vorgestellten Personen alle auszeichnet ist eine große Offenheit gegenüber der Wirklichkeit. Wenn etwas man genauer hinschaut ein liebevoller Blick auf das was passiert, auf die Personen – also so etwas wie eine positive Annahme der Wirklichkeit so wie ist, der Personen wie sie sind.  

Wie Gerges auf alle Fragen, Probleme geschaut hat, die wohl oft seinen Tagesplan durcheinanderwirbeln – immer offen, froh und geduldig auf das reagiert was passiert; das konnten wir schon an dem einen Tag, den wir mit ihm verbracht haben beobachten. Oder den Blick, den die Schwestern Ibtihaj und Feodora auf die Kinder hatten auf alle und auf jedes einzeln – es so zu nehmen wie es ist, sich dafür Zeit zu nehmen … und alles anzunehmen gerade auch in der Fluchtsituation, wo man sich sicherlich häufig einiges anders wünscht. Ich denke es war gerade die Tatsache, dass sie diese Situation so genommen haben wie sie ist, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, was im Augenblick so sein muss, genau dieser Blick auf die Realität hat sie für andere zum Anker der Ruhe in dem Chaos der Flucht gemacht!  

… also Kinder und Jugendliche dazu ermutigen und ihnen zu helfen offen und positiv auf die Wirklichkeit zuzugehen, das ist m.E. ein großer Wert der Erziehung. 

Respekt von der Freiheit der Person. Wenn wir eine Person vor Augen haben, ist es immer gut sich Erinnerung zu rufen, dass sie genauso wie sie ist, gewollt ist, und gerade in der Erziehung uns anvertraut ist als ganz eigene freie Person. Sie ist nicht unser Besitz oder ein Objekt zur Erfüllung oder Verifizierung unserer eigenen Wünsche und Vorstellungen. Das gilt ganz besonders wenn sie persönliche und charakterliche Eigenschaften und Ansichten hat, die nicht gerade in mein Weltbild passen oder wenn sie ein Verhalten an den Tag legt, das besonders herausfordernd ist. 

Ein sehr schönes Beispiel war für uns der ganz bemerkenswerte Umgang mit den Kinder im IRAP – das ganze Institut trägt gleich mehreren ganz verschiedenen Gegebenheit Rechnung: verschieden Sprachen (English, Französisch und Arabisch) verschiedene Religionen (Christen, Muslime) verschiedene Vorrausetzungen (Taubstummheit, Lerneinschränkung, Autismus) und das alles mit großer Liebe und Offenheit – das war wirklich beeindruckend. 

Der Respekt vor der Freiheit der Person ist m.E. ein ganz zentrales Gut in der Erziehung, nicht zuletzt deshalb – ich sage das wieder bewusst, weil ich an einer Schule mit einem dezidiert christlichen Erziehungsideal spreche – weil es wohl (so denke ich) die Eigenschaft des Menschen ist, die Gott am teuersten ist, da echte Freiheit die Voraussetzung für wahrer Liebe ist.

Die letzten beiden Punkte die ich erwähnen möchte sind vielleicht nicht ganz so “Commen Sense“ wie die ersten: ein klarer Vorschlag und eine Autorität diesen Vorschlag macht, dem es zu folgen gilt : das den Kinder und Jugendlichen vorzuschlagen, was man selber als wahr und richtig erkannt hat mit Klarheit, um dadurch für sie auch zu einer im guten Sinne des Wortes Autorität zu werden. Es geht nicht darum, dass sie genau diesen Standpunkt später übernehmen, dass sollte auch nicht das Ziel sein – sondern dass sie im Erzieher eine Person vor sich haben. die weiß was sie will und für was sie steht – eine Person die mit Gründen lebt. 

Bei dieser Frage Autorität geht also mehr um eine methodische Frage: wie gelange ich zur Gewissheit, gerade in den Dingen die einerseits wesentlich für mein Leben sind, für die aber die unmittelbar evidente Erkenntnis nicht möglich ist?  
In den vielen Bereichen gerade in der Schule spielt die Evidenz die überragende Rolle: in der Mathematik, Physik, Englisch, …sind die Dinge so wie sie sind – aber in Fragen der Weltanschauung, des Umgangs miteinander, der Beziehung untereinander, der religiösen Überzeugung bedürfen wir einer anderen Erkenntnismethode, der des Vertrauens, des Glaubens, des Folgens und Verifizierens. Wir haben da manchmal eine eigenartig Scheu  entwickelt, diese anzuerkennen. Wenn man den zweiten Punkt, den ich erwähnte nämlich den Respekt für die Freiheit der Person wirklich im Auge behält – ist eine klarer Vorschlag der mit richtig verstandener persönlicher Autorität vorgetragen wird m.E. essenziell für ein gute Erziehung.    

Diesen Punkt haben wir bei allen vorgestellten Personen erlebt. Ich möchte aber am Beispiel von Fabiola und Fillippo das nochmal etwas verdeutlichen: das Herzstück des Vorschlages der sogenannte „Casa Famiglia“ (Haus der Familie) ist die Familie bestehend aus den Eltern mit ihren Kindern. Sie selber haben die Erfahrung gemacht, dass die Familie für sie ein Ort der Liebe und Geborgenheit ist, wo ein Mensch aufblühen und wachsen kann.  Sie leben diesen Vorschlag gerade angesichts von Personen, deren Lebenswege oft anders verlaufen sind, die gebrochen sind, deren Familien aus welchen Gründen auch immer zerbrochen sind – angesichts von Obdachlosen, Waisen, Drogensüchtigen, Prostituierten. Sie leben diesen Vorschlag aber nicht als dogmatische Behauptung (obwohl diese vielleicht sogar im logischen Sinne richtig sein könnte) sondern als Erfahrung und vor allem als Teilhabe – es ist gerade das, ein Herzstück dieses Charismas: den Armen und Bedürftigen nicht etwas von oben herab zu geben sondern das Leben, so wie sie es selber als positiv erfahren haben, mit ihnen zu teilen, weil sie letztlich wissen, dass sie selber arm und bedürftig sind. 


Damit möchte ich schließen, weil das den für mich den wichtigsten Punkt betrifft, dessen wir  von diesen Personen lernen können: wir alle sind letztlich bedürftig und in diesem Punkt eins. 
Uns in dieser Bedürftigkeit zu helfen, das ist es was wesentlich zu uns Menschen gehört. Das gilt gerade auch für uns: damit wird die Hilfe, die wir materiell geben, zu einer Hilfe für die in Not geratenen vor Ort und gleichzeitig eine Hilfe für uns selber, wir sind damit nicht einfach Helfer (aus einem Überfluss heraus) und die anderen Empfänger – sondern wir sind auf beiden Seiten Menschen, Personen, die letztlich selber hilfsbedürftig sind, weil wir alle dieser Hoffnung bedürfen, für die es sich zu leben lohnt!  Die Hilfsbedürftigkeit ist damit nicht ein letztlich tragisches Spiel des Schicksals oder gar ein Makel, sondern sie kann begriffen werden als etwas, das uns wirklich zu Menschen macht etwas das auf etwas Größeres verweist, auf eine geheimnisvolle Gegenwart – der gläubige Mensch würde sagen auf Gott. 


Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!






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